Der Mauerweglauf ist in jedem Jahr einem anderen Maueropfer gewidmet – stellvertretend für die mindestens 138 Menschen, die an der Grenze zwischen 1961 und 1989 ihr Leben ließen. Und in diesem Jahr wird die Medaille des Mauerweglaufs, die jeder Finisher bei der Siegerehrung überreicht bekommt, das Konterfei von Marienetta Jirkowsky tragen. Ebenso die Back-To-Back-Medaille.
Marienetta (auch „Micky“ genannt) wurde am 22. November 1980 bei einem Fluchtversuch zwischen Hohen Neuendorf und Berlin-Frohnau von Gewehrkugeln der DDR-Grenztruppen getroffen. Sie erlag wenig später im Krankenhaus ihren schweren Schussverletzungen. Marienetta wurde 18 Jahre alt. Ihr Verlobter und ein gemeinsamer Freund überwanden dagegen unverletzt den Todesstreifen.
Vom Tod seiner Tochter erfuhr Marienettas Vater erst zwei Tage nach den Schüssen. Zuvor war lediglich davon die Rede, dass Marienetta im Grenzgebiet zu West-Berlin festgenommen worden sei. Der Familie wurde nicht gestattet, eine Todesanzeige zu veröffentlichen. Außerdem wurde die Beerdigung am 14. Dezember 1980 fast komplett von Mitarbeitern der DDR-Staatssicherheit abgeschirmt. Und damit nicht genug: 1981 demontierte ein Mitarbeiter der „Stasi“ ein Gedenkkreuz im West-Berliner Stadtteil Frohnau und brachte es heimlich in die DDR. Einer der Mauerschützen wurde nach der deutschen Wiedervereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren auf Bewährung wegen „Totschlags in einem minder schweren Fall“ verurteilt.
Zeichen der Erinnerung an Marienetta finden sich bis heute in unterschiedlicher Form: So steht ihr Name an einem der 14 weißen Gedenkkreuze am Reichstagsufer. Außerdem wurde am 13. August 2010 ein Platz in Hohen Neuendorf nach Marienetta Jirkowsky benannt (wenngleich es sich nur um einen kleinen Platz mit Kreisverkehr handelt). Und ganz in der Nähe des früheren Tatortes wurde in der Florastraße eine Gedenkstele errichtet. Auch am Mahnmal „Fenster des Gedenkens“ in der Bernauer Straße in Berlin ist jenes Foto von Marienetta zu sehen, das als Vorlage für die diesjährige Finisher-Medaille diente.
Die Finisher-Medaille mit dem Konterfei der Maueropfer hat inzwischen Tradition bei den Mauerwegläufen: Bei der Premiere 2011 wurde auf diese Weise an Chris Gueffroyerinnert, der kurz vor dem Mauerfall 1989 erschossen wurde. 2013 wurde Günter Litfingewürdigt, der 1961 als erster Mensch bei einem Fluchtversuch getötet wurde. Und im vergangenen Jahr trug die Medaille das Porträt von Peter Fechter, der 1962 nahe des Checkpoint Charlie bei seinem Fluchtversuch ums Leben kam.
Rainer Eppelmann: „Der Mauerweglauf als Beitrag zur Erinnerungskultur“
Der Berliner Mauerweglauf entlang der ehemaligen Grenze um West-Berlin ist mittlerweile eine sportliche Institution geworden, die Jahr für Jahr Hunderte Ausnahmeathleten aus aller Welt anzieht. Die100MeilenBerlin sind zugleich ein Beitrag zur Erinnerungskultur in diesem Land und in dieser Stadt, mit dem auf ungewöhnliche Weise an die unmenschliche Berliner Mauer und ihren Fall 1989 erinnert wird.
Gerade weil diese Mauer heute fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden ist, bleibt es eine wichtige Aufgabe daran zu erinnern, was dieses monströse Bauwerk 28 Jahre lang für die Menschen in Ost und West bedeutet hat. Als nahezu unüberwindbares Bollwerk wurde die Berliner Mauer am 13. August 1961 von den Machthabern in der DDR gegen die eigene Bevölkerung errichtet und immer weiter ausgebaut. Der westliche Teil der Stadt war vollständig mit Stacheldraht und Sperren umschlossen, so dass den DDR-Bürgern das letzte Schlupfloch in die Freiheit versperrt war. Familien, Ehepaare und Freunde wurden über Jahrzehnte voneinander getrennt. Hunderte Menschen mussten ihre Fluchtversuche mit schweren Verletzungen und – noch schlimmer – ihrem Leben bezahlen.
Dass diese Mauer in der Nacht des 9. November 1989 friedlich geöffnet wurde und in kürzester Zeit fiel und verschwand, ist nicht zuletzt dem Mut derjenigen zu verdanken, die in der DDR mutig für Freiheit und ein besseres Leben demonstriert haben. So verständlich in der Folge der Wunsch nach Normalität war, führte das fast vollständige Entfernen der Mauerreste aus dem Stadtbild Berlins auch dazu, dass die Erinnerung heute zu verblassen droht.
Umso wichtiger ist es, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Mauerweglaufs nicht nur an ihre eigenen körperlichen Grenzen gehen, sondern mit ihrem Lauf auch an die Teilung Berlins und Deutschlands und an deren zahlreiche Opfer erinnern.
Ihr Rainer Eppelmann
Ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Schirmherr des Berliner Mauerweglaufs
Rainer Eppelmann ist früherer DDR-Bürgerrechtler und war Minister für Verteidigung und Abrüstung in der Regierung Lothar de Maizière. Seit 1990 in der CDU und von 1990 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages.
Meine Fotos!



















Tom Eller mit Tobi Schreiber.
